Von den Lebensumständen unseres selig entschlafenen Bruders Matthew Wittke hat sich unter seinen Papieren verschiedenes gefunden, wovon Nachstehendes ein Auszug ist: (In einem Aufsatz seines Lebenslaufes, der aber nur bis in die Jugendjahre gehet, heißt es so: Ich bin geboren den 7. April 1749 in Nazareth.)
Gutes und die Barmherzigkeit verfolgten mich schon in meinen Kinderjahren und machten mir dieselben zu einer vergnügten Zeit, wofür ich dem Heiland noch jetzt, in meinem vierzigsten Jahr, Dank sage. Ich genoß, wie viele andere Kinder, die Erziehung in der Kinderanstalt in Bethlehem, bis in mein elftes Jahr, da die Anstalt nach Nazareth versetzt wurde, wo ich etwa noch ein Jahr blieb. Von meiner Kinderzeit sind mir einige besonderen Gnadenzüge des Heilands erinnerlich, da er sich meinem Herzen als der Kinderfreund nahete. welches ich aber damals nicht so verstund, bis ich älter wurde. Es zeigte sich aber auch schon in dieser Zeit die Verdorbenheit meines Herzens, denn weil ich ein stilles, eingezogenes Kind war, und man mich dieses manchmal merken ließ vor anderen , so war dieses für den alten Menschen und[2] für meine Eigenliebe ein angenehmes Lob.
Nach Verlauf der Kinderjahre wurde ich ins Knabencorps aufgenommen und nach Christiansbrunn versetzt und kam daselbst in die Brauerei. Bei einer Gelegenheit, da eine Gnadenregung über eine ganze Stube voll Knaben kam, so daß wir untereinander es gut wahrnahmen konnte, wurde auch ich mit angefaßt. Es war mir so, alles, was bei mir in meinem Herzen vorging, offenherzig zu sagen und nichts für mich zu behalten, und oh, wie glücklich wäre ich gewesen, wenn dieser Sinn bei mir geblieben wäre. Allein dieses gut Gefühl verluhr sich nach und nach wieder ohne der Sache recht nachzudenken, wobei ich aber doch nie ruhig in meinem Herzen war.
Den 15. August 1762 wiederfuhr mir die Gnade, in die Gemeine aufgenommen zu werden, und den 7. Mai 1763 gelangte ich zum erstmaligen Genuß des heiligen Abendmahles. Weil ich mich aber nicht gründlich kannte, dachte ich eben, ich müßte doch wohl besser sein als andere, die immer auf einer Stelle blieben. In meinen zunehmenden Jahren erwachte in mir die Sünde und das in mir wohnende Nichtgute. Und weil mir der Geist der Offenherzigkeit fehlte und ich mich schämte, zu sagen, wie es bei mir im Grunde des Herzens aussah, so hatte ich einen schweren Gang. Und meine schwersten Stunden waren, wenn ich mit meinem Pfleger reden sollte. Denn Gutes wußte ich nicht und Schlechtes konnte und wollte ich nicht sagen. In diesem Zustand blieb ich lange Zeit.
Wenn Lebensläufe heimgegangener Geschwister gelesen wurden, und ich öters hörte, wie leichter es dem und jenem geworden, wenn er, sie, es offenherzig hatte sein können, so dachte ich ofte, wenn es mir doch auch so würde, daß ich sagen könnte, wie es bei mir aussehe. Da ich aber dieses nicht konnte und das Verderben sich stärker in mir regte und ich eine heimlich Neigung zur Sünde fühlte, so hatte ich einen zentnerschweren Gang. Und ich hatte oftmals beim Sprechen zum Abendmahl vor lauter Unruhe und Widerspruch in meinem Herzen eine große Bangigkeit.
Und wenn in den Versammlungen über Texte, die von der Zukunft des Heilands handelten, wie einmal an einem Jahreswechsel, da zum Schluß des Jahres über die Worte des Menschen Sohn kommt zu einer Stunde da ihr´s nicht meinet, geredet wurde, war es mir so angst, daß ich alle Augenblick dachte: Jetzt kommt der Heiland, wie werd ich vor ihm bestehen? In dieser Unruhe meines Herzens ging ich lange Zeit hin. Ofte spürte ich die Arbeit des heiligen Geistes an meinem Herzen, lernte auch den Unterschied gut einsehen zwischen Knaben, die sich dem Heiland ergeben, und Knaben, die von ihrem Verderben getrieben wurden, daß bei mir oft der Gedanke entstund: Zu welcher Klasse gehörst Du denn? Daß ich aber jemand meine Not hätte sagen können, war mir unmöglich. Oh, wie leicht hätte ich meinen Gang gehen können, wenn ich dieses getan hätte. Ich war mitten in der Gemeine, aber deshalb doch kein seliger Mensch. Ich mußte es leider auch erfahren, was Fleisch und Blut und wilder Mut, und was unkeusche Knaben wo die Gnade noch nicht gut zu erfahren haben.
Aber bei alledem war es doch auch die Zeit, da die Reue, die niemand gereuet, ihren Anfang in mir nahm und wohl mir diese Schule. Ich werd vor Gottes Stuhle meinen Zoll dankend voll ihm auch dafür bringen und ein Loblied singen. Mein In-der-Gemeine-sein wollte mir nun nicht mehr Satisfaktion geben, sondern ich wollte Jesu selber sprechen. Mein Verlangen nach ihm und ums Seligsein wurde stärker, so daß ich als ein Kranker den Heiland liebte und ihn sucht, so gut ich konnte. Als ich ins ledige Brüdercorps aufgenommen worden, fand ich Gelegenheit, mit einigen jugen Brüdern bekannt zu werden, die in einem wirklichen Umgang mit dem Heiland standen. Einer von ihnen gab mir ein Lied zu lesen, welches er in seinen Knabenjahren gemacht hatte, woraus ich sein kindliches Herz zum Heiland sah, und ihn, wie noch verschiedene andere, die eine herzliche Liebesgemein untereinander hatten, liebgewann. Und es war mir in ihrer kleinen Gesellschaft oft recht wohl in meinem Herzen. Aber auch hier fühlte ich, wie leicht mein Herz zu selbstgefälligen Gedanken geneigt war und ich von mir glauben wollte, daß ich nun auch so weit sei wie diese Brüder. Der Heiland führte mich aber durch das Gefühl meines tiefen Elendes zur Demut zurück.
Soweit diese Nachricht.
Nach einigen späteren Aufsätzen ist zu schließen, daß unser seliger Bruder in der Folge durch den Geist Gottes mehr und mehr in die Erkenntnis seines Grundverderbens, aber auch in die selige fürs sündige Herz ans Jesu Leiden und Tod ist hineingeleitet worden, wovon Nachstehendes zeiget, welches er an einem Jahresschluß aufgeschrieben hat:
Wie soll ich dem Herrn vergelten alle seine Wohltat, Gnade und Barmherzigkeit, die er mir, seinem armen Kinde in diesem Jahre aus ganz unverdienter Gnade erzeiget hat. Oh, wär´ein jeder Puls ein Dank und jeder Atem ein Gesang. Wie manches Mal ist es mir in diesem Jahre so gewesen, wenn alle Menschen wüßten, wie gut es ist, für den Heiland zu leben. Es gefiel meinem teuren Heiland, mir in diesem Jahre meinen eigentlichen Herzenszustand näher aufzudecken. Und wenn ich zurückdenke, wie er mich dabei geleitet hat, so weiß ich nichts zu sagen, als “Herr, Dir ist nichts gleich!” Hätte mir der Heiland all mein Elend auf einmal aufgedeckt, so wie er es nach seiner Weisheit nach und nach getan hat, so würde ich es bei seinem Volke kaum ausgehalten haben. Ich glaubte bisher bei allem Gefühl meiner Sündigkeit dann auch immer, daß es gut mit mir stehe. Der Heilige Geist machte mir aber klar, daß ich im Grunde meines Herzens nicht aufrichtig wäre und mein unseliger Zustand wurde mir mit meiner unganzen Besinnung gegen den Heiland besonders, daß ich äußerlich besser scheinen wollte, als ich im Herzen war, deutlich vor die Augen gestellet. Dieses demütigte mein zum Hochmut geneigtes Herz sehr. Ich wurde darüber tief bekümmert und suchte, im Freien Wälder unter lautem Gebet zum Heiland Gnade und Friede für als ein gebeugter zu Jesu Füßen. Und der treue Heiland war auch so gnädig und schenkte mir einen so tröstlichen Blick, daß ich das Wohlsein meines Herzens nicht aussprechen kann. Jetzt glaubte ich, es sei nun alles gut und war zufrieden mit mir. Aber nach Verlauf einiger Wochen, da ich eben für mich alleine war, fiel mir der Vers nachdrücklich aufs Herz mache den Gedanken bange, ob das Herz es endlich weihe, ob die Seele an Die hänge, ob ich scheine oder sei. Da kam mir mein ganzer Gang und Wandel von Neuem als unlauter und untreu gegen den Heiland vor, daß ich viele Tränen darüber vergoß und nicht eher Ruhe und Erleichterung fund, bis mir der Heiland den Geist der Offenherzigkeit schenkte und ich mit meinem Zustand herausging. Und diese Gnade der Offenherzigkeit hat mir der Heiland bis jetzt erhalten.
Von dieser Zeit an scheint unser seliger Bruder in einem ununterbrochenen Umgang mit dem Heiland geblieben zu sein, welcher aus seinen hinterlassenen Papieren wohl zu ersehen ist, da er sein Vergnügen daran hatte, täglich seine Herzensstellung in Gebeten, Versen, oder Betrachtungen über biblische Sprüche aufzuschreiben, wovon mehrere anzuführen zu weitläufig werden würde. Es ist aber aus denselben abzunehmen, daß der stille Umgang mit dem Heiland sein tägliches Hauptanliegen war. Und seine Meditationen gingen alle auf den Genuß des uns durch Jesu Leiden und Tod erworbenen Heils. Daß er darin Gnade gefunden, können folgende Verse zeigen:
Mein mehr als teurer Gott
Der mich bis in den Tod
Am Kreuze hat geliebet
Und den ich oft betrübet
Sprach zu mir: Deine Sünden
Die sollen von Dir verschwinden.
Ich weiß noch wie es geschah
Denn da ich mich so sah
Und glaubte mich verloren
Da ward ich neu geboren.
Oh mehr als werte Stunden
Da Du mich hast gefunden
Wär ich Dir um zur Freud
Denkt noch mein Herze heut.
Könnt ich Dir um zu Ehren
Deinen Ruhm an mir vermehren
Und Deine Gnadenproben
Noch würden, preisen, loben.
Von dem Verlangen seines Herzens nach dem Heiland und dem täglichen Genuß aus seinem Leiden zeiget folgendes:
Ich will mit nassen Wangen
Und einem heiteren Blick
An meinem Heiland hangen
Und ihm auch für mein Glück
Zu seinen Füßen liegen
Wie Maria Magdalen
Uns Aug wird überfließen
Bei seiner Marter schön.
Schenk mir von Deiner Flamme
Von Deiner Liebesglut
Ein Flämmlein – Ach, wie bange
Wird mir um Jesu Blut.
Wann werde ich Dich schmecken
Du allerhöchstes Gut
Wenn werd ich mich bedecken
Mit meines Heilands Blut?
Wenn werd ich sagen: Amen,
Ich weiß auf dieser Welt
Von keinem andren Namen
Der mir so wohl gefällt
Als Jesu – Ach von Deinem
Du schönstes Gotteslamm
Ich will hier nach Dir weinen
Bis Du mir wohl getan.
Die letzten Jahre in Christiansbrunn bekam er den Auftrag, dasigem ledigen Brüderchor als Chordiener zu dienen. Schon damals zeigte sich eine Schwäche an seiner Gesundheit, die auch auf sein Gemüt Einfluß hatte und da 1782 der Antrag an ihn kam, als Bierbrauer hierher nach Bethlehem zu gehen, hatte er sowohl als andere Bedenken deshalb, den Antrag anzunehmen. Er entschloß sich jedoch im Vertrauen auf den Heiland, es zu wagen und zog am 29. Juli bedachten Jahres zu dem Zweck hierher. Er bediente dieses Geschäfte nach seiner besten Erkenntnis und war oftmals sehr verlegen darüber, wenn er den Nutzen davon nicht so sah wie er ihn zu sehen wünschte.
1787 wurde er zu einem Mitgliede der Aufseherkollegii ernannt und im 1792, den 29. Februar, bekam er den Ruf, bei dem hieseigen ledigen Brüderchors als Mitvorsteher zu dienen, wodurch er ein Mitglied der hiesigen Ältestenkonferenz wurde. Mit der treuesten Teilnahme an dem Wohl und Wehe des Chores und dessen Mitgliedern, trug er alle Umstände desselben in seinen vertraulichen Gebeten dem Heiland kindlich vor. Wie er denn darinne eine exemplarische Treue bewies, daß er in seinen Gebetsstunden, die er täglich zwecklich hielt, dem Heiland alles, was seine Sache, besonders, die Brüderunität, ja, was einzelne Personen betraf, einfältig nannte, worauf der Heiland gewiß seinen Segen gelegt hat. Im Frühjahr 1801 legte er seine Geschäfte in der Brauerei nieder und bezog eine Stube im Brüderhaus und er beschäftigte sich meist mir leichter Arbeit im Garten, die seiner schwächlichen Gesundheit zuträglich war. Besonders aber machte er sich diese Zeit im stillen Umgang mit seinem ungesehenen Freunde zunutz. Und hatte ,so wie immer, an den täglichen Versammlungen, eine selige Weide für sein Herz. Auch waren ihm die Abendmahle jederzeit gesegnete Festzeiten vor welchen er sich allemal mit seinen vertrautesten Freunden über seinen Herzensgang einfältig unterhielt und nahm sich alles sehr genau, gab sich auch nicht eher zufrieden, bis er vom Heiland selbst getröstet wurde. Und so zärtlich sein Herz gegen den Heiland gesinnt war, so war er es auch gegen seine Brüder.
Über seine Schwächlichkeit äußerte er sich zwar wenig, gegen den Herbst aber bekam er sein altes Übel sehr zu fühlen, wozu sich noch ein Husten gesellete, der ihn sehr inkommodierte. Doch konnte er noch allen Sessionen der Provinzialkonferenz im Oktober zu großem Segen für sein Herz beiwohnen, woran er sich oft dankbar erinnerte. Gegen Ende des Jahres nahm seine Schwachheit mehr zu, und er mußte das Besuchen der ihm so angenehmen Versammlungen aufgeben. Er bat daher öfter, ihm zu einigem Ersatz derselben Verse zu singen, welches man mit Vergnügen tat. Solange er noch konnte, stimmte er selbst mit ein. Zuweilen war er etwas bänglich vor einem harten und langen Krankenlager und betete oft beweglich zum Heiland, ihm dasselbe zu erleichtern und zu verkürzen. Daß sich der Schlaf gänzlich bei ihm verloren hatte, mattete ihn sehr ab. Es wollten dagegen wie gegen seine anderen Krankheitsumstände keine von dem angewandten Mitteln ausschlagen. Er war aber bei allen Leiden gelassen und ein sehr geduldiger und zufriedener Kranker und war für jeden Dienst, der ihm angewiesen wurde, wie auch dafür, daß seine liebe Schwester den Tag über beim sein und ihn pflegen konnte, sehr dankbar. Es zeigte sich zu Anfang dieses Monats deutlicher, daß diese Krankheit zu seiner Vollendung gemeint sei. Er war dazu auch schon vorbereitet und mit dem Heiland über seinen ganzen Lebenslauf, den er noch in der Krankheit treu überdacht hatte, ganz verstanden. Sein Herz und Gemüt war daher ruhig und heiter und es war erbaulich, ihn bei seiner großen Engigkeit auf der Brust so zufrieden und gelassen zu sehen. Da er einige Tage vor seinem Ende gefragt wurde, wie lange er noch bei uns bleiben wollte, antwortete er so kurz als möglich, weil ihm nun nichts mehr im Wege sei und er sich herzlich freue, nun bald vom Glauben zum Schauen zu kommen.
Dieses gewährte ihm der Heiland eher als er und wir nach der Art seiner Krankheit kaum erwartet hätten. Denn am 12. in der Früh in der sechsten Stunde kam der selige Moment da seine teuer erkaufte Seele mit dem Segen der Gemeine und seines Chores und dem Gesang des Verses
In Deine Seite will ich fliehen
Bei meinem letzten Todesgang
Und durch Deine Wunden ziehen
Ins himmlische Vaterland usw.
sehr sanft und selig in seines Herrn Freude einging. Im 54. Jahre seiner Wallfahrt hinieden.
Wohl Dir, Du hast überwunden
Durch des Marterlammes Blut
Nach gar manchen Schmerzenstunden
Hast Du´s unvergleichlich gut.
Ach, wie wohl ist Dir geschehen
Nun kannst Du den Heiland sehen
Ungestört bei seinen Füßen
Seine Lieb und Huld genießen.
Labe Dich an seinen Wunden
Die Du hier so hoch geliebet
Draus Du manchen Trost empfunden
Wenn Dich dies und jen´s betrübet.
Singe dem der Dich versöhnt
Daß es durch die Himmel tönt
Ewiglich denn sein Verschieden
Ist die Ursach Deiner Freuden.
Then there is a gap of about four lines, and the text continues.
[2]Die kursiv gedruckten Teile des Textes sind in der Handschrift gestrichen.